Positionspapier des Bundesnetzwerk Drogenpolitik bei Bündnis ’90 / Die Grünen zu den Themen Tabakpolitik und Passivrauchen

Autor: Maximilian Plenert, Sprecher des Bundesnetzwerk Drogenpolitik
Mit großer Mehrheit im Oktober 2006 beschlossen. Die GRÜNE JUGEND hat auf dem 27. Bundeskongress in Göttingen die Unterstützung des Positionspapiers beschlossen.

Präambel:

Dieses Papier fasst die bestehenden Beschlüsse des BND zusammen und ergänzt sie um Anregungen unserer Bundestagsabgeordneten, anderen grüner Drogenpoltikerinnen wie Katja Husen sowie den Mitgliedern des BND. Die wissenschaftliche Debatte um das genaue Ausmaß der Schäden durch Passivrauchen wurde bewusst außen vorgelassen. Dieses politische Papier sollte geeignet sein von jedem akzeptiert zu werden der ein Minimum an Schädigung für plausibel hält bis zu jenen, die eine Diskriminierung und Ausgrenzung von Rauchinnen vermeiden wollen und für einen integrativen Nichtraucherinnenschutz sind.

Tabak ist eine der verbreitetsten Drogen weltweit. Ein Viertel der Bevölkerung raucht regelmäßig, ein weiteres Viertel sind Ex-Raucherinnen oder gelegentliche Raucherinnen. Die Politik hat hierbei an drei Stellen einzugreifen: Regulierung des Marktes zum Schutz der Konsumentinnen und der Jugend, Förderung der Drogenmündigkeit des Einzelnen sowie Schutz von Raucherinnen und Nichtraucherinnen vor Passivrauchen.

Wie bei jeder anderen Droge ist bei Tabak ein mündiger und kontrollierter Genusskonsum möglich. Wir setzen uns für die Förderung von Drogenmündigkeit bei allen Konsumentinnen ein und überlassen ihnen die Entscheidung über Konsum oder Abstinenz. Drogenmündigkeit muss auch das Leitbild in der Präventionsarbeit werden, eine Fixierung auf Abstinenz ist weder sinnvoll noch wünschenswert. Als weitere Unterstützung für die Konsumentinnen wollen wir Drogenbeipackzettel für alle Tabakwaren.

Schon seit langem fordern wir eine wirksame Kontrolle des Marktes durch die Abschaffung von Zigarettenautomaten, das Verbot von Tabakwerbung und mittelfristig den Verkauf von Tabakwaren ausschließlich in Drogenfachgeschäften mit Informations- und Beratungskompetenz. Hier sehen wir den größten Handlungsbedarf. Die Einführung von Chipkarten-Systemen für die Alterskontrolle bei Zigarettenautomaten halt wir für unzureichend.

Im Bereich Schutz vor Passivrauchen sind Verbesserungen notwendig, diese müssen aber verhältnismäßig sein. Die Maßnahmen müssen geeignet sein, das Ziel des Nichtraucherinnenschutzes zu erreichen, aber auch gleichzeitig erforderlich und angemessen. Somit ist immer abzuwägen, ob ein totales Verbot erforderlich ist oder ob weniger einschränkende Maßnahmen technischer oder organisatorischer Art im konkreten Einzelfall ausreichen.

Wir sehen in den aktuellen Diskussionen sowohl Tendenzen, die Probleme durch Tabak zu marginalisieren als auch diese zu dramatisieren. Jeder Bürger hat das Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz sowie den rauchfreien Zugang zu öffentlicher Verwaltung sowie Verkehr. Es sollte aber ebenso an diesen Orten integrierte Möglichkeiten zum Rauchen geben. Der Schutz werden, dass er die Diskriminierung („Surgeon General Warns Americans to Stay Away from Smokers“), Dämonisierung oder Pathologisierung („Alle Raucher sind Abhängige“) von Raucherinnen zur Folge hat.

In der Gastronomie sollte es sowohl reine Nichtraucherinnenbetriebe als auch gemischte Betriebe geben. In der Nichtraucherinnengastronomie hat das Personal ein Recht auf eine separate Rauchmöglichkeit. In der gemischten Gastronomie gibt es neben Nichtraucherinnenbereichen auch Raucherinnenbereiche, wobei hier die Gefährdung und Belästigung des Personals und der anderen Gäste durch eine räumliche Trennung oder technische Maßnahmen minimiert werden müssen. In Gastromoniebetrieben, in denen neben Getränken lediglich Snacks vertrieben werden, sollte es zusätzlich die Möglichkeit von Raucherinnenkneipen geben, solange sichergestellt wird, dass keine Arbeitnehmerrechte verletzt werden. Technische Maßnahmen zur Reduktion der Gesundheitsgefahr durch Passivrauchen sind auch hier verpflichtend vorzuschreiben.

Das Passivrauchen ist eine ernste Gesundheitsgefahr. Auch wenn die Schädigung nicht so groß wie bei dem Rauchen selbst ist, rechtfertigt und fordert das Ausmaß der Schädigung politische Maßnahmen zum Schutz vor Passivrauchen. Wie bei anderen Gesundheitsgefahren fordern wir Grüne pragmatische Lösungen, die die Gesundheitsgefahren effektiv reduzieren, ohne dabei andere Werte völlig zu vernachlässigen. Ähnlich wie bei dem Problem Feinstaub ist eine Kombination aus Einschränkungen, technischen und organisatorische Maßnahmen sowie Nutzerverhaltensänderungen am Sinnvollsten.

Bei der Bewertung der Risiken durch Passivrauchen ist zu beachten, dass eine klare Exposition und Konzentration – Risiko Beziehung besteht. Somit ist das Gesundheitsrisiko durch Passivrauchen beim Durchschreiten der Raucherinnenzone am Bahnhof minimal und im Vergleich zu anderen Risiken zu vernachlässigen. Eine Belästigung kann dies trotzdem darstellen und deswegen sollte das Rauchen in gewissen Bereichen im Freien auch reglementiert werden – allerdings höchstens soweit wie dies in der Realität auch noch kontrollierbar ist. Der regelmäßige Aufenthalt in verrauchten Räumen, beispielsweise bei der Arbeit in einem gastronomischen Betrieb, kann zu den gleichen Erkrankungen führen wie das Rauchen selbst.

Außerhalb von geschlossenen Gebäuden oder Fahrzeugen sind nur wenige Regelungen notwendig, generelle Rauchverbote wären unverhältnismäßig. Lokale Konsumeinschränkungen können gewährleisten, dass beispielsweise der Durchgangsverkehr an Bahnhöfen vor einer Belästigung geschützt wird oder bei großen Menschenmengen (Sportstätten) das Entstehen „Dunstglocken“ vermieden wird. Hier sollten die Raucherinnenzonen günstig eingerichtet werden, so dass weder die Raucherinnen abgedrängt werden noch die Masse der Nichtraucherinnen hindurch muss.

Der Zugang und Aufenthalt in Gebäuden oder Fahrzeugen, die vom Staat betrieben oder finanziert werden, muss rauchfrei möglich sein. Ein zusätzliches Augenmerk gilt allen Einrichtungen, an denen sich Kinder, Säuglinge und Kleinkinder, sowie gesundheitlich angeschlagene oder anfällige Menschen und chronisch Kranke (z.B. Asthmatiker) aufhalten – Kindergärten, Betreuungseinrichtungen, Schulen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen.

Im Bereich des Schienenverkehrs sollten Raucherinnenwägen nur als erste und letzte Wagen vorhanden sein. Im Gastronomiebereich der Züge ist das Rauchen zu verbieten, da Nichtraucherinnen hier keine Ausweichmöglichkeit haben. Unwirksame Maßnahmen wie eine räumliche Trennung ohne Luftbarrieren, wie sie heute in ICs zu finden sind, sind unzureichend.

Am Arbeitsplatz gibt es über die Arbeitsstättenverordnung ein Recht auf Schutz vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch. Diese Bestimmung ist auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen, insbesondere muss geprüft werden, ob das Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer auch in der Realität einforderbar ist. Dieses Recht ist jedoch auch keine Pflicht für den Arbeitnehmer.

Die Regelungen zum Schutz vor Tabakrauch in der Arbeitsstättenverordnung sind für den Bereich Gastronomie unzureichend. Das Ziel des Gesundheitsschutzes in Gaststätten könnte am besten durch ein generelles Rauchverbot gewährleistet werden, wir sprechen uns für die zusätzliche Option Integration von Raucherinnen durch die Installation lüftungstechnischer Anlagen, Maßnahmen im Bereich technischer Nichtraucherinnenschutz, räumliche und organisatorische Trennung durch die Einrichtung von Raucherinnenräumen sowie lokal begrenzten Raucheinschränkungen aus. Diese Maßnahmen bieten keinen vollständigen Schutz vor den gesundheitsgefährdenden Schadstoffen des Tabakrauchs, sind aber in der Lage, deren Konzentration massiv zu senken und die Risiken bis auf ein akzeptables Niveau zu senken.

Innerhalb von privatwirtschaftlich betriebenen Gebäuden oder Fahrzeugen sollte die Rauchfreiheit Standard werden. Ausnahmen sind möglich, wenn es die räumlichen Gegebenheiten und die lüftungstechnische Ausstattung zulassen. Gastronomiebetrieben in denen nur Getränke und Snacks verkauft werden, sollte es zudem noch die Möglichkeit der Raucherinnenkneipe geben. Hierbei müssen alle Angestellten freiwillig auf ihr Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz verzichten.

Innerhalb von privaten Gebäuden oder Fahrzeugen sind Regelungen ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre. Eltern sollten nur durch Prävention auf die Risiken von Tabakrauch für ihre Kinder hingewiesen werden. Im zwischenmenschlichen Umgang sind mündige Bürger – Raucherinnen wie Nichtraucherinnen – in der Lage, durch Rücksichtnahme und Toleranz gangbare Lösungen zu finden.

Für den Schutz vor Passivrauchen gibt es neben generellen Raucherverboten eine Vielzahl weiterer wirksamer Instrumente:

  • Lüftungstechnischer Anlagen
  • Technischer Nichtraucherinnenschutz
  • Räumliche Trennung durch die Einrichtung von Raucherinnenräumen
  • Lokal begrenzte Raucheinschränkungen

Ausreichend dimensionierte Lüftungssysteme können Schadstoffkonzentrationen signifikant vermindern. Gezielte technische Maßnahmen wie integrative Raucherinnenkabinen mit spezieller Filtertechnik und dem direkten Absaugen von Passivrauch am Aschenbechern stellen im Bereich Nichtraucherinnenschutz ein mächtiges, bisher nicht erschöpftliches Instrument dar. Der Staat sollte die Forschung in Bereich technischer Nichtraucherinnenschutz fördern sowie einheitliche Prüfnormen für den Test der Wirksamkeit solcher Anlage einführen.

Schutzmaßnahmen müssen auch unter dem Aspekt der Raucherinnenintegration geplant werden. Wenn eine Kombination aus den genannten Instrumenten für einen wirksamen Schutz ausreichend sind, müssen sie totalen Verboten vorgezogen werden. Raucherinnenzonen sollen nicht so eingerichtet werden, dass sie Raucherinnen ausgrenzen oder diskriminieren. Gleichzeitig sollen sie Nichtraucherinnen wirksam schützen, Raucherinnenzonen in Foyers oder Fluren mit Durchgangsverkehr sind nicht akzeptabel.

Wir unterstützen klar die Position der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, die in ihrer Pressemitteilung „Beschäftigte besser vor Passivrauchen schützen“ angesichts der derzeit aufgeheizten Diskussion für eine differenzierte Betrachtung plädiert. „Anders als die Gäste hätten die Beschäftigten der Branche nicht die Möglichkeit, einfach das Lokal zu wechseln, weil sie durch Passivrauchen geschädigt würden. […] Auch in Betrieben mit weniger als 75 Quadratmeter Gastfläche und weniger als 40 Sitzplätzen muss der Gesundheitsschutz der Beschäftigten einen höheren Stellenwert haben. […] Die Änderung der Arbeitsstättenverordnung wäre ein sinnvoller Schritt, um den im Gastgewerbe Beschäftigten den Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz zu sichern. Ein generelles Rauchverbot sei das letzte Mittel.“

In der Frage einer Altersgrenze von 16 oder 18 für den Verkauf von Tabakwaren haben wir keine konkrete Empfehlung abzugeben, da beide Altersgrenzen Vor- und Nachteile haben. Zunächst gilt festzuhalten, dass die derzeitige Altersbeschränkung auf 16 nicht ansatzweise funktioniert, nicht nur das Durchschnittsalter für die erste Zigarette liegt weit unter 16 (13,6 Jahre laut BZgA), selbst das Durchschnittsalter für den regelmäßigen Konsum liegt darunter (15,6 Jahre laut BZgA). Eine Anhebung der Altersgrenze macht nur in Verbindung mit einer Anhebung der Bußgelder im Jugendschutzgesetz und der vermutlich wirksamsten Forderung in diesem Bereich, einem Verbot von Zigarettenautomaten im öffentlichen Raum, Sinn.

Das Alter 16 wäre eine realistischere Regelung, eine Anhebung auf 18 würde womöglich nur eine weitere Regelung schaffen, die Fern der Realität ist. Es darf ferner nur die kommerzielle Abgabe an unter 18 Jährige bestraft werden, um nicht einen neuen Schwarzmarkt zu schaffen. Auch darf die Präventionsarbeit nicht wie bei Cannabis behindert werden, weil Jugendliche mit Sanktionen rechnen müssten, wenn sie ihren minderjährigen Tabakkonsum zugeben.

Weitere tabakpolitische Forderungen:

  • Die Tabaksteuer ist nicht weiter anzuheben. Der Anstieg an Schmuggel, die zusätzlichen
  • Einnahme für kriminelle Organisationen, die zu erwartenden Steuerausfälle sowie zusätzliche Gesundheitsschäden durch schlechte Schmuggelzigaretten im Falle einer weiteren Erhöhung übersteigen den Nutzen dieser Maßnahme. Die Bekämpfung des zusätzlichen Schmuggels wäre aussichtslos – selbst bei illegalen Drogen beträgt die Beschlagnahmsquote nur 5 bis 10%. Es gibt berechtigte Hinweise, dass es zu einer nicht unerheblichen Kompensation der Tabaksteuererhöhung durch Zigarettenschmuggel in Deutschland gibt. Ein Teil der Einnahmen sollte zur ausreichenden Finanzierung von Präventionsmaßnahmen eingesetzt werden. Die Auswirkungen der letzten Steuererhöhungen sollten erforscht werden. Um ihre negativen Folgen einzudämmen könnte auch eine Verminderung des Steuersatzes sinnvoll sein.

  • Es sollte einen bezüglich der Steuer pro Konsumeinheit einheitlichen Steuersatz für alle
  • unterschiedlichen Tabakerzeugnisse (Volumentabake/Feinschnitt, Pfeifentabak, Zigarren/Zigarillos und Schnupf- und Kautabake) geben.

  • Alle Arten von Werbung für Tabakwaren (u.a. Sponsoring, Product Placement) sind grundsätzlich zu verbieten. Die Werbung in Printmedien ist auf themenspezifische
  • Magazine für tabakinteressierte Personen (Raucherinnen, Angestellte in der Tabakwirtschaft) einzugrenzen. Bis zu einem Verbot von öffentlicher Werbung sollte im Zuge der Neuvergabe von städtischen Werbeflächen bei der Vermietung von öffentlichem Grund und Boden auf ein Tabakwerbeverbot hingewirkt werden.

  • Frei zugängliche Zigarettenautomaten sind abzuschaffen. Automaten an Orten, an denen die ausschließliche Abgabe an Personen über 16 Jahren überprüft werden kann (z.B. Supermärkte), können weiter betrieben werden. Die verpflichtende Umrüstung der Automaten auf die bargeldlose Zahlung mit der Geldkarte ab 2007 ist unzureichend für
  • einen effektiven Jugendschutz. Bis zur Umsetzung dieser Maßnahme sollte versucht werden, die Aufstellung von Zigarettenautomaten auf staatlichen Grundstücken zu unterbinden.

  • Die Bußgelder für Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz sollten empfindlich sein.
  • Jeder Verkaufseinheit von Tabakwaren ist eine Beipackzettel bei zulegen. Dieser beinhaltet
  • auch eine Liste aller Zusatzstoffe sowie Safer Use Informationen.

  • Es gibt bei Tabak so wie bei jeder anderen Drogen auch einen mündigen, kontrollierten
  • Genusskonsum. Wir setzen uns für die Förderung von Drogenmündigkeit bei allen Konsumentinnen ein und überlassen ihnen die Entscheidung über Konsum oder Abstinenz.

  • Mittelfristig fordern wir den Tabakverkauf ausschließlich in Drogenfachgeschäften mit
  • Informations- und Beratungskompetenz